Die Traktats-Theorie © zur Verortung und strategischen Planung kirchlicher Kommunikationsmaßnahmen
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Die Traktats-Theorie © bietet kirchlichen Einrichtungen und Akteuren ein effektives Werkzeug, um kirchliche Kommunikationsmaßnahmen theologisch reflektiert zu verorten und strategisch zu steuern. Die Methode bietet damit die systematische Lösung drängender aktueller Fragen bezüglich der kirchlichen Sprachfähigkeit im digitalen Zeitalter. Mit der Traktats-Theorie © können mediale Aktivitäten kirchlicher Einrichtungen in einem Zielgruppen-/Inhaltsraster verortet werden. So lassen sich gewinnbringende Schlüsse ziehen, um kirchliche Kommunikation wieder selbstsicher und überzeugend zu gestalten.
Das Problem kirchlicher Kommunikation im Digitalzeitalter
Das aktuelle Ringen vieler kirchlicher Akteure um angemessene Formen der Vermittlung ihrer Inhalte basiert auf dem Dilemma fehlender Definitionen, Grenzziehungen bzw. Unterscheidungen zwischen Marketingkommunikation und Evangelisierungsarbeit. Die Feststellungen, dass Kirche "schon immer Kommunikation betrieben" habe, ja, als "Gemeinschaft des Wortes wesentlich kommunikativ veranlagt" sei, sind Gemeinplätze, die von den meisten zu Recht geteilt werden. Welche Konsequenzen dies im Zeitalter der digitalen Massenkommunikation jedoch für die kirchliche Medienarbeit haben soll, bleibt weitgehend unklar. Die Frage danach, in welcher Weise sich die Relevanz von Glauben und Kirche in zeitgemäßen Medienformaten ausdrücken lässt, ohne dabei banal oder irrelevant zu werden, bereitet vielen kirchlichen Medienschaffenden Kopfzerbrechen und ist auf der Tagesordnung zahlloser Symposien und Workshops in den deutschen Diözesen.
Positive Bewertung der Medien von Seiten der Kirche
Vielfach hat die katholische Kirche den großen Nutzen der Medien betont. In diesem Zusammenhang wird meist Communio et Progressio (Über die Instrumente der sozialen Kommunikation, 1971) zu Recht als das zentrale kirchliche Dokument angeführt: "[Die sozialen Kommunikationsmittel] helfen der Kirche, sich der heutigen Welt verständlich zu machen; sie fördern das innerkirchliche Gespräch; schließlich vermitteln sie der Kirche das Verständnis für die Mentalität und die Menschen unserer Zeit, denen sie auf Gottes Geheiß die Botschaft vom Heil bringen sollen." Die Kirche soll dabei "eine Sprache sprechen, die von den Menschen verstanden wird" und "ansetzen bei den Fragen, die die Menschheit im Innersten bewegen". (125)
Die Suche nach Zielgruppenbestimmungen und Inhalten
Diese grundsätzlich positive Haltung gegenüber kirchlichen Medienaktivitäten wird jedoch nicht selten gedämpft bei der Analyse von passenden Zielgruppen und Inhalten. Sind nicht alle Menschen Adressaten der kirchlichen Botschaft? Beziehungsweise kann die kirchliche Botschaft derart fragmentarisiert werden, dass einzelne Aspekte bald in dieser, bald in jener Aufmachung für unterschiedliche Gruppen relevant "gemacht" werden? Kann man zum Beispiel sagen, die Kirche sei "Spezialistin" für Ehe, Trauer, Geburt, für "Lebensumbrüche" also, oder Glück?
Hinzunahme zweier Faktoren: Fundamentaltheologische Traktate und Evangelii Nuntiandi
Die Fragen nach Zielgruppen und Inhalten, die in Communio et Progressio und ihren Rezeptionen noch offen gebleiben sind, erhellen sich mit Hilfe zweier Faktoren, die bislang in der kirchlichen Diskussion um Kommunikationsstrategien nahezu unberücksichtigt geblieben sind: (a) Mit den Fundamentaltheologischen Traktaten (demonstratio religiosa, demonstratio christiana, demonstratio catholica) verfügt die Kirche über ein Content-/Zielgruppenkonzept, das sich als praktischer Leitfaden für die Anliegen von Communio et Progressio lesen lässt und sinnvoll anbietet. (b) Ein weiterer Faktor, der im kirchlichen Kommunikationsdiskurs bislang kaum Beachtung findet, ist Evangelii Nuntiandi (Über die Evangelisierung der Welt von heute, 1975), ein Dokument, das sich immerhin als Zusammenfassung des 2. Vatikanischen Konzils versteht (vgl. 2) und die Inhalte, Wege, Methoden sowie Adressaten der kirchlichen Verkündigung zum Thema hat. Ähnlich den Fundamentaltheologischen Traktaten liegt Evangelii Nuntiandi ein radikal prozessuales Verständnis von kirchlicher Verkündigungsarbeit zugrunde. So setzt das Dokument bei Vor-Formen von Evangelisierung an, welche sich einer "fast unbegrenzten Fülle von Mitteln" bedienen (51) und "auf die jeweiligen Kultur- und Sozialräume" Rücksicht nehmen (65). Von hier aus zeigt Evangelii Nuntiandi einen qualitativ aufsteigenden Weg der kirchlichen Verkündigungsarbeit, hin zu einem immer persönlicheren Kontakt bzw. dem Erleben von Kirche, das zweifellos Ziel kirchlichen Handelns sein muss.
Schaubild der Traktats-Theorie © und ihre Folgerungen
Stufe I: Die herzliche Einladung
Die erste Stufe kirchlicher Außenkommunikation beinhaltet im Schaubild den quantitativ höchsten medialen Einsatz, wenn auch die persönliche Vermittlung eine gewisse Rolle spielen kann, etwa in Form persönlichen Zeugnisses oder in Form von Einladungen. Qualitativ zeichnet diese Stufe einen professionellen Einsatz von Marketingmethoden aus, die das Ziel haben, die Adressaten emotional anzusprechen und Interesse zu wecken. Dieser Kommunikationsstufe entspricht das erste Traktat, das die Frage nach Gott bzw. Religion überhaupt thematisiert. Mit diesem Traktat, der Grundfrage des Menschen nach Gott und dem Sinn des Lebens, betritt die Kirche seit ihren Anfängen quasi den öffentlichen Raum. Evangelii Nuntiandi bezeichnet diese Stufe als Anfangsstufe der Evangelisierung (21), als erste Bekanntmachung des Glaubens (45), als Prä-Evanglisierung (51) und als Vorbereitung auf das Evangelium (53). Hier können alle medialen Formen in höchster marketingtechnischer Professionalität zum Einsatz kommen.
Stufe II: Bildung
Die zweite Stufe zeichnet sich durch eine ausgewogene Mischung von medialem Einsatz und persönlicher Begegnung aus. In diesen Bereich fallen alle Bemühungen um Bildung, Katechese und Glaubensvergewisserung, die, auch wenn sie medial und emotional-ästhetisch präsentiert werden, doch vor allem den Intellekt ansprechen. Gemäß den fundamentaltheologischen Traktaten entspricht diese Phase dem Offenbarungstraktat, in dem das spezifisch Christliche thematisiert wird. Evangelii Nuntiandi betont die herausragende Bedeutung dieser Phase. Es handelt sich um eine wichtige Glaubenshilfe (54), mit der der Glaube gestärkt und vertieft werden soll (54).
Stufe III: Erfahrung
Die dritte Stufe kommt beinahe ohne mediale Vermittlung aus, weil in ihr die personale Begegnung und die Erfahrung von Kirche im Zentrum stehen. Der Gläubige hat in dieser Phase schon eine Reise (marketingtechnisch: Customer Journey) hinter sich, die theologisch gesehen mehr und mehr zu einer echten Einführung in das Christentum wurde (theologisch: christliche Initiation). Der Übergang in diese Phase wird wahrscheinlich meistens als disruptiv empfunden werden, weil der Adressat spätestens jetzt den Erfahrungsraum der Kirche betritt und sie damit als Ort und Gemeinschaft aus Menschen erlebt. Das Thema dieser Phase entspricht dem Traktat der Kirche, in der das Heil sakramental - also konkret - erfahrbar wird. Evangelii Nuntiandi spricht in diesem Zusammenhang von einer weiteren Vertiefung des Glaubens (45) durch die aktive Teilnahme an den Sakramenten (47).
Folgerungen:
Die Traktats-Theorie © bietet in ihrer Gradualität bzw. Prozessualität von kirchlicher Kommunikation die Möglichkeit, unterschiedliche Kommunikationsmaßnahmen aufeinander abzustimmen und die Idee der Customer Journey mit jener der christlichen Initiation zu verbinden. Kirchliche Kommunikation muss damit nicht mehr gleichzeitig alles können und alles sagen. Dieses Wissen entlastet Medienschaffende. Je nachdem, in welcher Stufe sich Kommunikationsmaßnahmen verorten, können sich ihre Inhalte ganz auf den jeweiligen Themenfokus konzentrieren. Neu ist der Verweischarakter der einzelnen Stufen: Jede kirchliche Kommunikationsmaßnahme hat die unbedingte Aufgabe, in die nächste Stufe zu führen. Auch das entlastet. Denn oft scheinen kirchliche Medienkampagnen nicht recht zu wissen, wohin sie die Adressaten eigentlich führen wollen. Im Bewusstsein, dass kirchliche Kommunikationsmaßnahmen aufeinander verweisen und ein gemeinsames Ziel haben, erhalten die einzelnen Aktivitäten, was sie derzeit am meisten vermissen: Sprachfähigkeit und Selbstbewusstsein.
Erkenntnisse für die kirchliche Medienarbeit:
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Traktats-Theorie © ist die wiederentdeckte Perspektive, die die fundamentaltheologischen Traktate Medienakteuren bei der Analyse von Zielgruppen und Content anbieten. Eine Vielzahl von Konsequenzen lassen sich aus dieser Perspektive ziehen. Beispielsweise wird deutlich, dass das Thema Kirche (als Gemeinschaft, Ort, Institution) in der Phase I eine wesentlich geringere Rolle spielen sollte als das in vielen Kirchenkampagnen momentan der Fall ist. Die Begründung ist im Blick auf die Traktats-Theorie © nachvollziehbar: Ohne Vorbereitung und Hinführung (Stufe I) bzw. Bildung und Vergewisserung (Stufe II) ist die Konfrontation mit der Gestalt "Kirche" meist schwierig. Eine andere praktische Konsequenz können aufeinander aufbauende kirchliche Kommunikationsprogramme sein. Anhand der Traktats-Theorie © kann dabei der Mut wiedergefunden werden, um niederschwellige Angebote in einem qualitativen Sinn weiterzuführen. Kurz: Die Traktats-Theorie © erlaubt es kirchlichen Medienschaffenden, ihre Kommunikationsmaßnahmen, wie z. B. Websites, Social Media-Aktivitäten, Veranstaltungen oder Printprodukte, systematisch zu verorten und strategisch zu planen.
Erkenntnisse für die kirchliche Pressearbeit:
Eine besondere Herausforderung ergibt sich mit Blick auf die Traktats-Theorie © hinsichtlich der kirchlichen Pressearbeit. Da sie in einem zunehmend säkularen Umfeld sachlich über kirchliche Aktivitäten berichten muss, kann sie sich nicht an den einzelnen Phasen bzw. Traktaten orientieren. Ihre Zielgruppe ist immer eine heterogene Öffentlichkeit, die immer weniger Verständnis für sie hat. So bekommen kirchliche Presseleute den kirchlichen, christlichen und religiösen Relevanzverlust am unmittelbarsten zu spüren. Die Traktats-Theorie © kann das Dilemma kirchlicher Pressearbeit - Kirche als Phänomen, das gleichzeitig irgendwie politisch relvant wie irrelevant ist - nicht lösen, wohl aber für die systemischen Faktoren sensibilisieren, die dieses bedingen. So muss kirchliche Pressearbeit künftig sicher stärker unterscheiden, ob sie im innerkirchlichen oder säkularen Raum agiert und entsprechende Sprachkonzepte entwickeln, um sich zu erklären ohne sich zu verleugnen.